Verstehen (1)

Verstehen ist ein sehr vielseitiger Begriff, wir verwenden ihn in allen möglichen Kontexten und Situationen.
Ich möchte gern verstehen was dort auf dem Schild in dieser fremden Sprache geschrieben steht.
Ich möchte gern verstehen, was Du meinst
Ich möchte gern verstehen warum Du das tust
Ich möchte gern verstehen wie Du dir das vorstellst

Ich verstehe, wie diese Maschine funktioniert
Ich verstehe, warum sie so gebaut wurde

Vielleicht können wir mal versuchen, zu unterscheiden zwischen:
Verstehen was
Verstehen wie
Verstehen warum
Damit wollte ich es eigentlich bewenden lassen. Jetzt stelle ich fest, das lässt sich ja noch fortsetzen:
Verstehen wer
Verstehen wo
Verstehen wann
Verstehen woher
Verstehen wohin
Verstehen wozu
Vermutlich wird es noch mehr geben. Die ersten drei halte ich zunächst mal für die wichtigsten.
Wittgenstein meint, verstehen ließe sich recht gut mit ’nachmachen können‘ übersetzen.
Nachmachen ist sehr allgemein, ich denke wir können das je nach Situation auch mal versuchen mit:
Nachempfinden
Nachfühlen
Nachdenken
Nachmachen
Nachspielen
Nachtanzen
Nachbauen
Auch hier gibt es sicher noch weitere.

Wittgenstein fragt, woran wir eigentlich merken können, dass jemand etwas verstanden hat. Am Beispiel von Addition und Multiplikation zeigt er, dass man das daDurch feststellt, dass eine Person das demonstrieren kann indem sie es vormacht.
Ich weiß erst, dass Du verstanden hast, wie man multipliziert, wenn ich sehe, wie Du es tust.
Ich merke daran, dass Du etwas verstanden hast, wenn Du dich so verhältst, dass ich das daraus entnehmen kann. Ich beobachte, ob Du dich entsprechend verhältst. Tust Du das nicht, so bedeutet das in diesem Fall für mich, dass Du nicht verstanden hast.
Bedeutet das also, dass, wenn ich z.B. möchte, dass Du meinen Wunsch zunächst mal nur verstehst, dass ich möchte, dass Du etwas Bestimmtes tust? Woran würde ich denn merken, dass Du mich verstanden hast? Auch wenn Du z.B. sagst, ja ich verstehe, warum überzeugt mich das manchmal nicht und warum manchmal wohl?
Du sagst zwar dass Du mich verstehst, aber was und wie Du sonst noch machst, das passt irgendwie nicht dazu. Wenn Du mich wirklich verstehen würdest, dann würdest Du das so nicht machen. Es kann hier jede Menge unausgesprochene und unbewusste Erwartungen geben. Versteh mich doch bitte! Ich verstehe dich doch! Nein, eben nicht.
So etwas ist möglich.
Beim Verstehen von Wünschen gibt es wieder verschiedene Ebenen.
Als erstes möchte ich, dass Du meinen Wunsch verstehst, in dem Sinne, dass Du zunächst einmal davon Kenntnis nimmst.
Dann möchte ich auf einer anderen Ebene, dass Du ihm nachkommst. Es kann sein, dass ich denke, dass es mir wichtig ist, dass Du ihn nicht nur zur Kenntnis nimmst, sondern auch meine Beweggründe verstehst. Dieses Dein Verstehen der Beweggründe kann ich ebenso wie die reine Kenntnisnahme meines Wunsches an sich meinerseits bei Dir nur dadurch wahrnehmen, dass ich Dein nachfolgendes Verhalten daraufhin prüfe. Sehe ich dafür keine Anzeichen, dann denke ich, Du verstehst mich nicht.

Wenn wir selbst auf der Zuhörerseite sind, können wir, wenn es um Beweggründe geht, entweder auf die Logik fokussieren oder auf die Intensität und Wichtigkeit, mit der die andere Person erlebt, was sie ausdrückt. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Ich kann also, wenn ich sage, ich verstehe etwas nicht, immer auch unterschiedliche Aspekte meinen.
Das gleiche gilt natürlich auch, wenn ich das Gefühl habe, Du verstehst mich nicht.

Wozu soll das gut sein, diese Sache hier so auszubreiten.
Es handelt sich eigentlich darum, etwas besser zu verstehen, wie wir die Idee verstehen verwenden. Und dabei zu verstehen, dass wir das auf ganz unterschiedliche Arten tun können, und dabei zu verstehen, dass die VerwenDung eines einzelnen Begriffes für ganz unterschiedliche Aspekte zu Missverständnissen führt. Unvermeidlich.
Wenn wir das verstanden haben, dann können wir uns besser entsprechend verhalten. Eine Möglichkeit wäre, das wir etwas vorsichtiger nachfragen, wenn es darum geht zu verstehen oder verstanden zu werden.

Ich verstehe ja nicht mal mich selbst. Einige Stellen ausreichend gut. An anderen Stellen kenne ich mich selbst, das soll heißen, ich verstehe, was an der Stelle meine Automatismen sind, ich könnte aber nicht sagen, dass ich verstehe warum ich das so mache.
Verstehe ich da jetzt mein Verhalten, oder verstehe ich es nicht?

Oder ist dieses ganze Verstehen gar keine Frage nach ja oder nein, sondern in vielen Fällen eine Frage nach gut genug.
Verstehe ich das gut genug?
Gut genug um handeln zu können, gut genug, um Deine Wünsche mit meinen abzustimmen?
Vielleicht muss das reichen. Vielleicht auch in Bezug auf mich selbst. Vielleicht kann ich verstehen, dass ich mich selbst nie ganz verstehen werde und auch Dich nicht. Immer wird es Hintergründe geben, die ich noch nicht Durchschaut habe. Da kann ich mich verlaufen auf der Suche nach einem abschließenden Verstehen.

Vielleicht kann ich verstehen, dass ich meinen Drang zu verstehen ebenfalls zähmen und lenken lernen muss. Vielleicht ist auch zu lernen, das ich zu viel des Guten tun kann und wann es gut genug ist.

Also vielleicht in Zukunft anstreben, nur ‚gut genug‘ zu verstehen, um ‚mich selbst und um mich her‘ etwas besser machen zu können.

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