Libelle II

Raus aus dem Fliegenglas

Um unseren Weg aus unserem Fliegenglas finden zu können, müssen wir klar sehen.
Vordergründig ist es ja klar, wohin wir uns orientieren müssen. Dorthin wo es hell ist, wo es leichter wird, wo es schön aussieht.

Genau das macht ja diese Falle aus, in der wir uns ermüden. Also lassen wir uns heruntersinken. Hier treffen wir auf eine süße Stärkung. Wir fassen wieder Mut und Kraft und machen uns wieder neu auf in Richtung Licht. Bis wir wieder müde sind. Dieser Zyklus kann sich ein schnelleren oder langsamen Schleifen auf den unterschiedlichsten Ebenen und Gebieten auch über längere Zeiträume wiederholen. Wir sind zäh.

Ohne Überblick oder Einblick in die Struktur unsere Schwierigkeit, wie sollen wir da herausfinden. Die Erschöpfung ist so groß und die Erfrischung und Erleichterung so unmittelbar, was soll daran falsch sein.
Eine erster Hinweis könnte sein, dass wir manchmal so ein Gefühl haben, dass das Helle und Süße irgendwie vielleicht trügt. Dass es vielleicht nicht an mir liegt, wenn ich da oben nicht weiter komme. Wenn ich anfangen würde, es für möglich zu halten, dass es vielleicht in der Natur der Situation liegt, dass es nicht mein individueller Fehler ist.
Das könnte ein erster kleiner Schritt sein.
Vielleicht müssten wir damit rechnen, dass wir zunächst unsere Erschöpfung oder Traurigkeit noch etwas stärker spüren. Wenn wir dem Hellen und Süßen, dass uns immer irgendwie wieder mit Kraft und Hoffnung gefüllt hat, wenn wir dem nicht mehr so ohne weiteres folgen mögen. Wenn wir den Glauben daran verlieren.
Wenn Dir nichts einfällt, was du machen willst, mach nichts. Ein weiteres kostbares Zitat von Steve de Shazer. Mach nichts, warte, schau Dir die Situation länger an, bleib einen Moment still. Ok, das geht also nicht, hmmm. Lösungslosigkeit aushalten. Na gut.
Vielleicht sollten wir nicht versuchen, dass alle Fliegen in unserem Glas gleichzeitigan diesen Punkt kommen. Lass uns das erst mal an einer Stelle ausprobieren. Wir können ja nebenbei die anderen im Blick behalten.
Vielleicht beschließen wir für den Moment nur in einem Punkt: So nicht mehr, das nicht mehr. Zunächst also nur innehalten, nicht wieder das Naheliegende tun, nicht unserem ersten Impuls folgen. Und dann, sehen was passiert.
Wollen wir einem gewohnten und natürlichen Impuls nicht folgen, dann erfordert das von uns eine gewisse Wachsamkeit. (Jede Falle, mit der wir Tiere fangen, beruht darauf, die natürlichen Impulse anzusprechen.) Es ist eine Eigenart dieser Impulse, dass sie vielfach unterhalb der Bewusstseinsschwelle operieren. Und es kann sein, das ein zurückgehaltener Impuls versucht, sich stärker in den Vordergrund zu drängen, in der Regel geschieht dies durch verstärkte Unlust- oder Lustgefühle. Da wird dann unser Entschluss herausgefordert. Es ist gar nicht so einfach, diesem Impuls dauerhaft ’nein‘ zu sagen. Dagegen ist es viel einfacher, den ersten Entschluss zu fassen, der ergibt sich ja aus der Einsicht, das es keinen Sinn macht, so weiterzumachen. Da fällt es mir leicht, zu sagen, so nicht mehr, nein! Vielleicht ist das sogar ein angenehmer Moment, ich fühle mich klar, ich fühle mich vielleicht auch fest in meinem Entschluss, also ein schönes Nein. Ein Nein, dass ich sagen möchte. Ein Nein bei dem ich mich gut fühle. Genau, das mache ich jetzt nicht mehr. Sehr gut. Ich fühle mich jetzt schon besser.
So könnte also ein guter Start aussehen. Und ich vermute, die meisten von uns kennen diese Phase. So geht es nicht weiter, nein. Und auch wenn ich nicht weiß, was ich stattdessen mache, nein. So nicht mehr. Wunderbar.
Wunderbar für den Anfang, weil wir rechnen ja noch damit, dass uns schon was einfallen wird. Und das wird es. Ein frischer Entschluss fühlt sich in der Regel erstmal gut für uns an.
Es dauert dann in der Regel nicht lange, da ist unsere Aufmerksamkeit abgelenkt, wir sind vielleicht durch andere Dinge ermüdet, und wir vergessen unseren Entschluss. Oder wir sind bereit, mehr oder weniger bewusst, einmal eine Ausnahme in Erwägung zu ziehen. Schließlich sind es gerade jetzt besondere Umstände, und dann kann es sein, das wir zu dem Schluss kommen, dass es besser ist, hier noch mal ein Auge zudrücken. Morgen fange ich dann richtig an.

Um was für ein Nein handelt es sich denn hier eigentlich, worüber sprechen wir. Wir sprechen darüber, irgendeinem Impuls nicht zu folgen, der uns bisher mehr Leichtigkeit und Licht versprochen hat. (Interessanterweise im englischen das gleiche Wort, ‚light‘.) Das kann ein Gedankengang sein, eine Vorstellung, ein Satz in einem Gespräch oder irgendeine andere Handlung.
Ja aber, warum soll ich das nicht machen, wenn es mir doch gut tut.
Da sind wir wieder, ganz am Anfang von unserem Bild. Wenn es mich nicht aufgebaut hat, wenn ich nicht besser dastehe, wenn ich immer das gleiche wieder und wieder probiere, dann lohnt es möglicherweise mal innezuhalten.

Übrigens, ja ich weiß, das ist sehr unwahrscheinlich, aber gestern, also nur 3 Tage nach meiner letzten Begegnung, es war gestern so, auf einer Lichtung im Wald, dass sich wieder eine Libelle auf meine linke Schulter gesetzt hat, fast genau auf die gleiche Stelle, wo die andere gesessen hatte.